Aramburu: „Im Baskenland gibt es noch viele offene Wunden“

Armando Aramburu gilt als eine der wichtigsten Stimmen in der spanischen Literatur. Inspiriert hat ihn zu der Erzählung „Patria“ über den langen Schatten der baskischen Untergrundorganisation ETA auch seine deutsche Wahlheimat. | Jorge Rios Ponce/dpa

Der 2016 in Spanien erschienene Roman wurde nun auf Deutsch veröffentlicht (Rowohlt). Für „Patria“ erhielt der 58-jährige Aramburu den spanischen Literaturpreis Premio Nacional de la Critica, das Werk wurde in 20 Sprachen übersetzt. Der Sender HBO España plant zudem eine Verfilmung des Stoffs.

Im Zentrum von „Patria“ stehen zwei Frauen – Bittori und ihre Nachbarin Miren – sowie die Auswirkungen von Terrorismus auf das Leben der Menschen im Baskenland. Protagonistin Bittori verlor vor zwanzig Jahren ihren Mann Txato. Er wurde von Terroristen der baskischen Separatistenorganisation ETA ermordet. Sie will nun in das alte Haus und Dorf zurückkehren und wieder unter jenen Menschen leben, die damals geschwiegen haben.

Darunter ist auch ihre ehemalige Nachbarin Miren. Damals, vor 20 Jahren, waren die Frauen beste Freundinnen. Nun geht Miren der Rückkehrerin aus dem Weg. Der Grund: Mirens Sohn sitzt als Terrorist im Gefängnis. Bittori fürchtet, dass der junge Mann etwas mit der Ermordung von Txato zu tun hat.

Die Untergrundorganisation ETA kämpfte jahrzehntelang für ein unabhängiges Baskenland, mehr als 800 Menschen starben bei Anschlägen. 2011 kündigten die Separatisten an, ihre Waffen niederzulegen. Die Situation heute im Baskenland sei viel besser als während seiner Kindheit, sagt Autor Aramburu. Denn es gebe keine Anschläge mehr. Dies mache eine Debatte ohne Beleidigungen und ohne Gewalt möglich. „Das heißt aber nicht, dass wir im Paradies leben, es gibt viele offene Wunden.“ Er wollte nicht über die ETA schreiben, so Aramburu, sondern über die persönlichen Erfahrungen: „Wie hat diese Mutter gehandelt, wie hat dieser Sohn gelebt? Wie war der erste Tag, nachdem man den Vater verloren hatte?“ „Patria“ heißt Vaterland. Autor und Übersetzer hätten sich bewusst entschieden, nicht das deutsche Wort als Titel zu wählen. Das Wort Vaterland hinterlasse im Deutschen wegen der Verbindungen zur Nazi-Vergangenheit einen schlechten Nachgeschmack, sagt Aramburu.

Die Geschichte seiner deutschen Wahlheimat habe ihn inspiriert, sagt der Schriftsteller. „In Deutschland war es die Generation in den 60er Jahren, die endlich nachgefragt hat, die Historiker in die Archive geschickt hat und die ganze Schande des Landes ausgegraben hat.“ Da seien aber seit den Gräueln des Nationalsozialismus schon 20 Jahre vergangen gewesen, in denen nicht sehr gut mit dem kollektiven Gedächtnis umgegangen worden sei. Im Baskenland herrsche nun eine Art Stille über das Geschehene, gegen die er mit „Patria“ anschreiben wollte. „Das heißt nicht, dass ich recht habe, aber ich glaube, wir müssen darüber reden, wir können nicht stillschweigen, weil die darauffolgenden Generationen uns Fragen stellen und Vorwürfe machen werden.“

Der Roman habe sich über Jahre in seinem Unterbewusstsein entwickelt, fügt er hinzu. Es habe gedauert, bis er den richtigen Zugang und Ton gefunden habe. Angst, missverstanden zu werden, habe er nicht. „Ich weiß, dass ein Buch, wenn es komplex ist, viele Interpretationen eröffnet.“ Jeder Leser gehe an das Buch mit seiner persönlichen Erfahrung heran. (dpa)