Alles nur Klischees? – Streit um den Dortmunder „Tatort“

Der jüngste „Tatort“ kam aus Dortmund, heißt „Zorn“ - und hat den dortigen Oberbürgermeister sehr zornig gemacht. Ein wütender Brief von Ullrich Sierau (SPD) an den WDR-Intendanten Tom Buhrow schlägt hohe Wellen. Der OB bemängelt in gereiztem Tonfall: Seine Stadt, das Ruhrgebiet und die Bewohner seien durch die klischeehafte Darstellung lächerlich gemacht worden. Der WDR spricht dagegen von einem „vielschichtigen Bild der Stadt“ - und von überwiegend positiven Reaktionen der Zuschauer.

Jetzt wird debattiert: Was darf der TV-Klassiker und welche Wirkung haben aktuelle „Tatort“-Folgen etwa made in Köln, München oder Münster für die Wahrnehmung der Stadt? Zunächst ein kurzer Cut - ein Blick zurück auf die Sendung im Ersten am vergangenen Sonntag: Vor grauen Industrie-Kulissen ermitteln Peter Faber (Jörg Hartmann) und Martina Bönisch (Anna Schudt) den Mord an einem Ex-Bergmann. Die Atmosphäre ist trist, frühere Bergleute schieben nach Zechenschließungen mangels Job-Perspektive Frust und Langeweile. Rund 9,2 Millionen Zuschauer hatten dafür zur besten Sendezeit um 20.15 Uhr eingeschaltet. Sierau moniert: „Ruhrpott-Klischees aus den 80er Jahren“ - und wirft dem WDR Mobbing vor. „Die Macher dieser Folge geben die Menschen einer Region der Lächerlichkeit preis, indem sie diese Bier trinkend in Trainingsanzügen vor heruntergekommenen Häusern herumstehen lassen.“ Gedreht worden sei in Duisburg. Der Sender entgegnet: Beim „Tatort“ handele es sich um Fiktion. „Aus dramaturgischen Gründen wird auch verdichtet und zugespitzt.“ Dadurch könnten einzelne Szenen von den einen als Klischees empfunden werden, von anderen als realitätsnahe Darstellungen.

„‘Tatorte‘ haben nicht die Aufgabe, dokumentarisch zu sein oder gar aufklärerisch zu wirken“, sagte Medienexperte Jo Groebel auf Anfrage der Deutschen Presse-Agentur. „Wir reden über Kunst. Alles, was wir in dem Dortmunder „Tatort“ gesehen haben, ist künstlerische Freiheit. Und in die darf es keine Eingriffe geben.“ Es sei auch nicht irreführend, wenn man einen Dortmunder Krimi in Duisburg produziere. „Wenn man nur an Originalschauplätzen drehen dürfte, könnte man ja das Filmen fast ganz einstellen.“

Und was ist mit der Wirkung der Bilder? Medienpsychologe Groebel meint: Wer den Klassiker all-sonntägich einschalte, nehme das Gesehene nicht für bare Münze. „Die Zuschauer haben die Kompetenz, das Ganze richtig einzuschätzen.“ Man sollte das Publikum nicht unterschätzen, mahnt auch Kulturwissenschaftlerin Julika Griem aus Essen: „Den Zuschauern ist bewusst, dass der ‚Tatort‘ eine erfundene Geschichte erzählt, auch wenn realistische Kulissen einer Stadt genutzt werden, um auf Wiedererkennungseffekte des Publikums zu setzen.“

Klare Botschaft der Wissenschaftlerin: „Die Hersteller einer Krimi-Serie sind nicht dem Stadt-Marketing verpflichtet und nicht dafür zuständig, eine Stadt in rosigem Licht erscheinen zu lassen.“ Auch wenn einige Kommunalpolitiker offenbar diese Hoffnung hegten. Allerdings: Städte könnten sehr wohl stark beim Image profitieren.

Beispiel einer positiven Auswirkung für eine Stadt sei das Team um den etwas schrägen Professor Boerne (Jan Josef Liefers) und den stets radelnden Kommissar Frank Thiel (Axel Prahl): „In Münster gibt es einen geradezu florierenden ‚Tatort‘-Tourismus“, sagt Griem. Auch bekannte Serien-Kommissare wie Max Ballauf (Klaus J. Behrendt) und Freddy Schenk (Dietmar Bär) vor Kölner Kulisse oder das Münchner Duo Ivo Batic (Miroslaw Nemec) und Franz Leitmayr (Udo Wachtveitl) hätten das Potenzial für solche positiven Effekte. Und der einstige Rüpel-Kommissar Horst Schimanski (Götz George) aus Duisburg, in den 80ern als „Ruhrpott-Rambo“ oft verrissen, sei sogar so etwas wie kulturelles Erbe der Region geworden, sagt Griem. „Schimanski ist anerkannte Duisburg-Folklore“. (dpa)