Wende im Atompoker

Jetzt müssen wir nicht mehr testen, weil wir längst eine Atomstreitmacht aufgebaut haben. So lässt sich die Botschaft von Kim Jong Un zusammenfassen. Nordkoreas Machthaber will sich nunmehr auf den wirtschaftlichen Aufbau seines armen, unter strengen Sanktionen leidenden Landes konzentrieren. Die überraschende Abkehr von seinen jahrelangen Provokationen mit Atomwaffen- und Raketenversuchen weckt Hoffnungen auf eine nukleare Abrüstung, aber aufgeben will Kim seine Atomwaffen und Raketen keineswegs. Er verkündet vielmehr den „großen Sieg“, Nordkorea unter seiner Führung in nur kurzer Zeit zur Atommacht entwickelt zu haben.

Trotzdem ist seine Ankündigung, die Versuche mit Atomwaffen und Raketen einzustellen, ein wichtiger erster Schritt. Er ebnet den Weg für die historischen Gipfeltreffen des Machthabers mit dem südkoreanischen Präsidenten Moon Jae In und US-Präsident Donald Trump. Es ist sogar mehr, als sich diese zum gegenwärtigen Zeitpunkt erhoffen konnten. Moon und Trump sprachen auch umgehend von einer guten Grundlage für ihre Begegnungen mit dem jungen nordkoreanischen Führer. Den Auftakt macht das erste Treffen am Freitag im Grenzort Panmunjom mit Südkoreas Präsidenten Moon.

Kims jüngstes Friedenssignal überraschte, ließ zugleich aber viele Fragen offen. „Von einer Beseitigung der Atomwaffen, die das Land bereits besitzt, ist nicht die Rede“, sagt der südkoreanische Experte Lee Sang Hyun vom privaten Sejong-Institut. „Dennoch ist das ein positives Zeichen.“ Die Frage, ob Nordkorea zu einer kompletten Denuklearisierung bereit sei, sei äußerst komplex. Kim dürfte bei seinen Treffen mit Moon und Trump eine „umfassende Sicherheitsgarantie“ fordern. Doch kein Land sei imstande, eine solche Garantie auszustellen, sagt Lee.

Trump wird Kims Ankündigung in den ihm eigenen Kategorien als geradezu monumentale Bestätigung seines Kurses sehen. Die Kampagne des „maximalen Drucks“, all seine Beschimpfungen des Gegenübers in Pjöngjang und die zur Schau gestellte Härte – sollte sich das tatsächlich auszahlen? Die Nachricht aus Nordkorea war kaum in der Welt, da reagierte der US-Präsident schon begeistert auf Twitter: Ein „großer Fortschritt“ sei das, für Nordkorea und für die Welt. „Ich freue mich auf unseren Gipfel.“

Nun spielt Kim dem Amerikaner anscheinend in die Karten. Wirklich ins Blatt schauen lässt sich keiner. Ob Trump, der selbst ernannte große „Dealmaker“, wirklich der bessere Spieler ist? Der Präsident hat nach wie vor keine wirkliche Erfahrung in der internationalen Politik. Er handelt oft nach den Usancen, die er aus der Bauwirtschaft kennt: Spielen, Härte, Geld, dazu die harten Seiten des Mannseins.

Kim Jong Un behält in dem Spiel auf jeden Fall die Initiative

Kim behält in dem Spiel auf jeden Fall die Initiative. Geschickt verkündet der Machthaber den Sieg seiner Atomstrategie und gibt Trump im gleichen Atemzug etwas, was der US-Präsident seinerseits als Erfolg für sich reklamieren kann. Dabei verkündete Kim eigentlich, dass Nordkorea jetzt zum illustren Club der Atommächte gehört – Trump und andere mögen das bitte anerkennen. Denn eins haben alle Atommächte gemeinsam: Sie haben es nicht mehr nötig zu testen.

Wie weit seine nukleare Streitmacht wirklich gediehen ist, bleibt offen. Sein Selbstbewusstsein impliziert aber, dass er einsatzfähige, schlagkräftige Atomraketen besitzt. Die Bedrohung der USA und ihrer Verbündeten bleibt damit glaubwürdig, dient unverändert als sein wichtigstes Faustpfand in möglichen Verhandlungen.

Nach seiner überraschenden Annäherung an Südkorea seit Jahresanfang, Nordkoreas Teilnahme an den Olympischen Winterspielen im südkoreanischen Pyeongchang und dem Besuch beim großen Nachbarn China ist es ein weiterer Coup des Machthabers. Mit der Ankündigung, das Atomtestgelände Punggye-ri abzubauen, um „transparent“ die Aussetzung der Nuklearversuche zu garantieren, scheint Kim geradezu internationale Inspekteure einzuladen, um sich davon zu überzeugen.

Was Kim im Gegenzug will, zeigt seine Ankündigung, sich jetzt auf die Wirtschaft und die Hebung des Lebensstandards seines Volkes konzentrieren zu wollen. Dafür müssten die Sanktionen gelockert werden, die Nordkorea die Luft abdrehen. Auch ist wirtschaftliche Hilfe nötig. Nur ohne atomare Abrüstung wird all das nicht geschehen. „Der entscheidende Punkt ist, dass sie die Atomwaffen aufgeben müssen, wenn sie die Wirtschaft entwickeln wollen“, sagt Professor Jin Qiangyi von der Yanbian Universität in der Grenzprovinz Jilin. „Wenn nicht, wird die Wirtschaft ohne Zweifel zusammenbrechen.“

Wenn Kim aber seine Atomwaffen nicht aufgeben will? Obergrenzen für sein Atom- und Raketenarsenal wären ein erster Schritt, weil sie die Bedrohung eindämmen könnten, argumentieren Experten. Das Einfrieren der Tests öffnet die Tür, um Nordkoreas Arsenal so einzugrenzen, dass die USA und ihre Verbündeten sicherer wären, solange die Gespräche laufen. Erst muss das schwierige Erbe des Koreakrieges (1950-53) aufgearbeitet, ein Friedensabkommen geschlossen und mehr Vertrauen geschaffen werden, bevor die Abrüstung vorankommen kann.

Der Konflikt um das nordkoreanische Atomprogramm

Seit Kim Jong Un Ende 2011 die Macht in Nordkorea übernommen hat, sorgt das abgeschottete Land immer wieder für internationale Spannungen – vor allem durch Raketentests und sein heftig umstrittenes Atomprogramm.

April 2012: Nach internationaler Kritik an einem gescheiterten Raketentest fühlt sich Nordkorea nicht mehr an ein Abkommen mit den USA gebunden, das unter anderem den Verzicht auf Atomversuche vorsah.

Februar/März 2013: Nordkorea unternimmt einen unterirdischen Atomversuch. Der UN-Sicherheitsrat antwortet mit Sanktionen.

Mai 2015:Die Führung in Pjöngjang berichtet, das Land habe erstmals von einem U-Boot eine neuartige ballistische Rakete abgefeuert.

Januar 2016:Nordkorea zündet nach eigenen Angaben erstmals eine Wasserstoffbombe. Atomexperten bestätigen einen Test, bezweifeln aber, dass eine Wasserstoffbombe detoniert ist.

März 2016: Der UN-Sicherheitsrat verhängt seine bislang schärfsten Sanktionen gegen Nordkorea.

Februar 2017:Pjöngjang testet eine ballistische Rakete, die einen Atomsprengkopf über Tausende Kilometer transportieren könnte.

März 2017: Nordkorea feuert vier ballistische Raketen ab. Drei davon seien erst kurz vor dem japanischen Festland ins Meer gestürzt, heißt es aus Tokio.

Juli 2017:Das Regime testet erneut eine Interkontinentalrakete, die die USA erreichen könnte.

August 2017: Der UN-Sicherheitsrat verhängt weitere Sanktionen. Nordkorea droht damit, die US-Pazifikinsel Guam mit Raketen anzugreifen, zieht die Drohung später aber wieder zurück. Ende August feuert Pjöngjang eine Rakete über Japan hinweg ins offene Meer.

September 2017: Beim sechsten Atomwaffentest zündet Nordkorea nach eigenen Angaben eine Wasserstoffbombe. Trotz verschärfter UN-Sanktionen feuert Pjöngjang eine weitere Rakete über Japan hinweg.

28. November 2017: Eine nordkoreanische Rakete landet im Japanischen Meer. Aus der Flughöhe lässt sich schließen, dass sie das US-Festland hätte erreichen können.

6. März 2018:Machthaber Kim stellt nach südkoreanischen Angaben im Gegenzug für Sicherheitsgarantien Gespräche mit den USA über das Atomprogramm seines Landes und ein Waffentest-Moratorium in Aussicht.

21. April 2018:Nordkoreanische Staatsmedien berichten von einem Beschluss der Führung in Pjöngjang, Atomversuche und Tests mit Interkontinentalraketen auszusetzen. (dpa)