Gedrosselte Freiheit: Saudische Frauen dürfen endlich Auto fahren

Wala Abu Nadschm (30) fährt zum ersten Mal mit dem Wagen ihres Mannes Ammar Akelah durch die Straßen von Riad. | dpa

Es ist kurz nach Mitternacht in der saudischen Hauptstadt Riad, als Wala Abu Nadschm etwas tut, wofür sie früher in dem islamisch-konservativen Königreich eingesperrt worden wäre: Sie schließt das Auto ihres Mannes auf, setzt sich ans Steuer – und fährt los. Auf dem Gesicht der 30-Jährigen liegt in diesem Moment ein leichtes Lächeln der Freude. Mit beiden Händen am Steuer fährt sie routiniert durch Riad, einmal sogar etwas zu schnell.

Was überall auf der Welt als normal gilt, wird von den saudischen Frauen als „historischer Tag“ gefeiert: Endlich dürfen sie Auto fahren. Um Mitternacht am Sonntag endete das Fahrverbot für sie. Viele hatten diesen Tag herbeigesehnt. „Ich habe während des Studiums in den USA Auto fahren gelernt“, sagt die 26-jährige Schahad al-Raschid. „Aber ich konnte mir nicht vorstellen, dass der Tag kommt, an dem ich auch hier fahren kann.“

Zu verdanken haben die Frauen die neue Freiheit dem ehrgeizigen Kronprinzen Mohammed bin Salman, den vor allem die jungen Saudis als Reformer sehen. „Danke an Mohammed bin Salman“, twitterten Frauen am Sonntag. Der 32-Jährige gilt als starker Mann des Königreichs und will dem Land eine Kur verpassen. Vor allem geht es ihm darum, die Wirtschaft umzubauen, damit sie weniger abhängig vom Öl ist, das das Land reich gemacht hat, aber eines Tages erschöpft sein wird.

Im Zuge dessen soll Frauen der Zugang zum Arbeitsmarkt erleichtert werden. Schahad al-Raschid ist dafür ein gutes Beispiel. Wie alle Frauen in Saudi-Arabien war sie bisher auf einen Fahrer angewiesen. An diesem Sonntag fuhr sie das erste Mal selbst zur Arbeit, auch wenn ihr Chauffeur sie vor den gefährlichen Kurven auf der Strecke gewarnt hatte. Die Fahrt sei ein „unbeschreibliches Gefühl“ gewesen, erzählt Schahad. „Ich musste lachen. Als ich den Wagen neben einem Kollegen anhielt, schaute er herüber und konnte seinen Augen kaum trauen.“

Manche, wie Wala Abu Nadschm, sind noch vorsichtig. „Was mir am meisten Angst macht, ist das verrückte Tempo der Fahrer und die Rücksichtslosigkeit hier“, sagt sie. „Deswegen möchte ich, dass am Anfang mein Mann neben mir sitzt, bis ich mehr Vertrauen habe.“ Der saudische Prinz und Milliardär Al-Walid bin Talal, der sich seit langem für Frauenrechte einsetzt, verbreitete einen Film, in dem er sich von seiner Tochter fahren ließ, auf der Rückbank die Enkelinnen.

Doch die Freude der saudischen Frauen über die neue Freiheit ist nur die sonnige Seite eines Tages, über dem dunkle Wolken hängen, die im Mai aufzogen. Wenige Wochen vor dem Ende des Frauenfahrverbots nahmen Sicherheitskräfte ausgerechnet jene Aktivisten fest, die sich für die Aufhebung eingesetzt hatten. Mindestens neun von ihnen sitzen weiter in Haft und müssen das historische Ereignis von dort aus beobachten.

Auf ersten Blick scheint der Zeitpunkt der Festnahmen bizarr – doch die Botschaft, die die Führung vermittelte, war deutlich: Das Königshaus will die absolute Kontrolle über Reformen behalten. Es wird nur solche geben, die die Mächtigen im Palast von Riad für angebracht halten. Um jeden Preis will die Regierung verhindern, dass eine aktive Zivilgesellschaft entsteht. Damit wurde auch klar, dass die Reformen allenfalls eine gedrosselte Freiheit zulassen werden. Mit einer politischen Öffnung ist nicht zu rechnen.

Saudische Aktivistinnen wie Manal al-Scharif sehen diesen Sonntag mit äußerst gemischten Gefühlen. Auch weil die persönlichen Freiheiten der Frauen in ihrem Heimatland weiter eingeschränkt bleiben. Die IT-Expertin, 39 Jahre alt, gehört zu jenen Menschenrechtlern, die über Jahre für das Ende des Frauenfahrverbots gekämpft haben und dabei auch nicht vor Provokationen zurückschreckten.

Es war im Sommer 2011, da setzte sich Al-Scharif in Saudi-Arabien nicht nur ans Steuer und fuhr los – sondern ließ sich dabei auch von einer Freundin filmen und verbreitete die Aufnahme im Internet. Während Frauenrechtler sie feierten, rückte die Geheimpolizei um zwei Uhr morgens bei ihr an. Neun Tage verbrachte Al-Scharif in Haft.

Über das Ende des Frauenfahrverbots sei sie sehr glücklich, sagte sie dem Sender CNN. Gleichzeitig startete sie am Sonntag eine Kampagne, um die männliche Vormundschaft abzuschaffen, der Frauen in Saudi-Arabien weiterhin unterworfen sind.

So brauchen Frauen in vielen Fällen noch immer die Zustimmung eines männlichen Vormunds. Etwa wenn sie ins Ausland reisen oder heiraten wollen. Der Vormund kann der Ehemann, der Vater oder sogar ein Bruder sein. „Wir sind noch immer Bürger zweiter Klasse in meinem Land“, sagt Al-Scharif, die mittlerweile in Australien lebt. „Meine Hoffnung ist, dass der Autoschlüssel der Schlüssel zum Wandel ist.“ (dpa)