EU-Asylstreit: Premier Michel hält Fortschritte für möglich

Teilnehmer bei dem Treffen in Brüsseler waren Belgien, Deutschland, Griechenland, Italien, Bulgarien, Malta, Österreich, Frankreich, Spanien, die Niederlande, Dänemark, Kroatien, Slowenien, Finnland, Schweden und Luxemburg. Zwölf EU-Staaten nahmen nicht teil. Demonstrativ abgesagt hatten etwa die Visegrad-Staaten Ungarn, Polen, Tschechien und die Slowakei. | afp

Trotz des großen innenpolitischen Drucks hat die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel nach einem EU-Sondertreffen in Brüssel noch keine Lösungsansätze im europäischen Asylstreit skizziert. Es gebe aber viel guten Willen, sagte sie am Sonntagabend. Man werde bis zum EU-Gipfel am Donnerstag „aber natürlich auch danach“ an Lösungen arbeiten. Die CSU verlangt allerdings schon beim Gipfel einen europäischen Ansatz, um das Weiterwandern von Flüchtlingen innerhalb der EU zu unterbinden. Anderenfalls droht Bundesinnenminister Horst Seehofer mit einem Alleingang: Dann will er ab 1. Juli bereits in der EU registrierte Flüchtlinge an der deutschen Grenze zurückweisen lassen. Dies könnte die Zukunft der großen Koalition, aber auch den Zusammenhalt in der EU gefährden.

Um eine rasche Lösung zu finden, hatte EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker zu dem Sondertreffen vor dem Gipfel eingeladen, zu dem 16 EU-Länder kamen. Merkel gab sich danach optimistisch, allerdings ohne dies konkret zu unterfüttern. „Wir sind uns alle einig, dass wir die illegale Migration reduzieren wollen, dass wir unsere Grenzen schützen wollen, und dass wir alle für alle Themen verantwortlich sind“, sagte die Kanzlerin. „Wo immer möglich, wollen wir natürlich europäische Lösungen finden, und wo dies nicht möglich ist, wollen wir, die willig sind, zusammenführen und einen gemeinsamen Rahmen des Handelns erarbeiten.“

Premierminister Charles Michel (MR) sprach er von einem intensiven und nützlichen Treffen, bei dem sich alle am Tisch offen und ehrlich ausgetauscht hätten. „Wenn wir in den nächsten Tagen weiter intensiv an konkreten operativen Maßnahmen zum Schutz der Außengrenzen, an der Solidarität auf europäischer Ebene arbeiten, und wenn wir uns wirklich für präzise Abmachungen mit Ländern außerhalb der EU einsetzen, dann sind bis Donnerstag Fortschritte möglich“, sagte der Premierminister anschließend. „Ich hoffe, dass wir dann gemeinsam Schritte in die richtige Richtung unternehmen können, um die Herausforderung zu meistern.

Vor Beginn des Treffens hatte Merkel konkret von Absprachen mit einzelnen EU-Ländern gesprochen, um das Weiterziehen der Migranten zu begrenzen. Italien – eines der Hauptankunftsländer am Mittelmeer – will sich darauf aber auf die Schnelle keinesfalls einlassen, wie es aus italienischen Regierungskreisen hieß. Der neue Ministerpräsident Giuseppe Conte fordert stattdessen eine umfassende Lösung und einen radikalen Wandel in der europäischen Asylpolitik. Das bisherige sogenannte Dublin-Systems solle aufgegeben werden, heißt es in einem Zehn-Punkte-Plan, den Conte mit nach Brüssel brachte. Nach den Dublin-Regeln müssen sich die Menschen dort registrieren lassen und einen Asylantrag stellen, wo sie zuerst europäischen Boden betreten. Tatsächlich ziehen jedoch viele weiter Richtung Deutschland.

Conte fordert, die illegale Migration nach Europa weiter drastisch zu reduzieren, unter anderem über Abkommen mit den Herkunftsländern und sogenannten Schutzzentren in Transitländern. Sogenannte Wirtschaftsflüchtlinge ohne Anspruch auf Asyl sollten gerecht auf die EU-Staaten verteilt werden.

Unter diesen Bedingungen würden Bewegungen innerhalb der EU dann „nebensächlich“, heißt es in dem italienischen Papier. Und in dem Fall – aber erst nach Erfüllung der Voraussetzungen – wäre Italien dann auch bereit zu Einzelabsprachen: „Die sekundären Bewegungen können so Gegenstand technischer Abkommen zwischen den besonders betroffenen Ländern werden.“

Die noch striktere Abschottung der Außengrenzen scheint in der EU konsensfähig. Vor dem Brüsseler Treffen verdichtete sich auch die Unterstützung für mögliche Sammellager für Migranten, entweder auf EU-Gebiet oder auch außerhalb der EU, zum Beispiel in Nordafrika. Allerdings ist kein Drittstaat bekannt, der zur Aufnahme solcher Lager bereit wäre.

Frankreich und Spanien forderten am Wochenende gemeinsam Zentren für ankommende Migranten „auf europäischem Boden“. Sowohl der französische Präsident Emmanuel Macron als auch der spanische Ministerpräsident Pedro Sanchez erinnerten aber auch an europäische Werte und die Menschenwürde, die bei jeder europäischen Lösung gewahrt bleiben müssten.

Die CSU-Spitze hatte den Druck auf Merkel am Wochenende noch einmal massiv erhöht. Seehofer sagte, er werde sich auch durch Merkels Richtlinienkompetenz als Kanzlerin nicht von seinen Plänen einer Abweisung von Flüchtlingen an der Grenze abbringen lassen. Voraussetzung für Zurückweisungen wären systematische Grenzkontrollen innerhalb der Schengenzone. Das trifft bei europäischen Partnern auf Widerstand. Premier Michel sagte vor dem Brüsseler Treffen, seine erste Priorität sei, die kontrollfreie Reisefreiheit im Schengenraum zu erhalten. (dpa/gz)