Die Quadratur des Kreises: Rentenreform backt kleine Brötchen

Bessere Pensionen - dafür demonstrierten gestern in Brüssel mehr als 50.000 Menschen. | belga



In der Alten Welt, deren Herzstück Europa ist, wird man – oh Wunder – immer älter. Und um den Anforderungen der neuen Zeit gewachsen zu sein, lässt man sich länger ausbilden. Außerdem sind Familien mit vier oder fünf Kindern die Ausnahme. Es müssen also immer weniger Berufstätige die Last der Rente von immer mehr und länger lebenden Pensionären tragen.

Man braucht kein Nachfahre des Rechenmeisters Adam Ries zu sein, um zu verstehen, dass sich hier die Katze in den Schwanz beißt, und die Politiker wahrlich die Quadratur des Kreises hinkriegen müssten. Im Grunde haben Pensionsminister Daniel Bacquelaine (MR) und seine Kabinettskollegen nur wenige Stellschrauben. Und einige möchten sie am liebsten gar nicht anfassen: das Renteneintrittsalter und die Lebensarbeitszeit, die Höhe der Rente oder die der Beiträge. Schließlich stehen Wahlen an. Eine vierte Stellschraube wäre, neue Einnahmequellen für das Rentensystem anzuzapfen. Es überrascht nicht, dass die Gewerkschaften eher auf die vierte Möglichkeit setzen, während die Regierung ihr Heil im Werkeln an den beiden ersten Stellschrauben sucht.

Punktesystem, Berücksichtigung der Schwere eines Jobs und Flexibilisierung des Renteneintrittsalters bei gleichzeitiger Ermunterung zum späteren Renteneintritt – das ist der Mix, mit dem der verantwortliche Minister seinen Kollegen in der Regierung, der Mehrheit der Abgeordneten und letztendlich auch den betroffenen Bürgern die bittere Pille schmackhaft machen will. Die Gewerkschaften vermuten darin – das ist Teil ihres Selbstverständnisses – eine Mogelpackung. Und sie haben nicht ganz Unrecht. Schließlich wird der Geldwert der Punkte, die nicht mehr und nicht weniger als die aktiven Jahre eines durchschnittlich verdienenden Arbeitnehmers sind, zu dem Zeitpunkt berechnet, zu dem der Betroffene in Rente geht. Zur Bemessung werden u.a. Kriterien wie das Verhältnis von arbeitender Bevölkerung zu Rentnern oder der allgemeine Zustand der Staatsfinanzen angelegt. Dass diese Parameter sich verschlechtern werden, ist unvermeidbar: Die Bevölkerung wird weiter altern, durch die Digitalisierung werden Arbeitsplätze wegfallen. Damit verschlechtert sich der Proporz zwischen den Beitragszahlern und den Rentnern weiter. Und es landen weniger Rentenbeiträge in der Kasse.

Außerdem hat die Niedrigzinspolitik der Europäischen Zentralbank den Schuldendienst für Belgien in den letzten Jahren um bis zu neun Milliarden jährlich gedrückt. Irgendwann wird Draghi die Zinsen anheben müssen. Die Konjunktur spricht also eher für eine Verringerung der Renten. Die sind aber jetzt schon zu niedrig! Einen Ausgleich für die voraussehbar fehlenden Milliarden könnte lediglich über eine Aufstockung aus Steuermitteln erfolgen, z.B. dadurch, dass der Staat eine Steuer auf Roboter oder Algorithmen erhebt, die menschliche Arbeit überflüssig machen. Also sozusagen die Digitalisierung besteuert.

Da muss man aber skeptisch sein. Denn bislang hat sich auch die belgische Regierung unfähig gezeigt, die Internetriesen zur (Steuer)kasse zu bitten. Solange das nicht geschieht, wird jeder Pensionsminister lediglich an den kleinen Schräubchen drehen, wo eigentlich eine weitgreifende Reform her müsste. Der Bürger wird sich vollkommen zu Recht Sorgen um seine Rente machen. Und hoffentlich anderweitig vorsorgen. Wenn er das denn kann!