Zur Mandelblüte nach Mallorca

Eigentlich hatte Wieland Mücke nie großes Interesse an Mallorca. Für den Angestellten aus dem niedersächsischen Osterode am Harz war die spanische Mittelmeerinsel lange bloß Synonym für Ballermann, Saufpartys und volle Strände. Dann flog er mit seiner Frau im Februar nach Mallorca, um dort Geburtstag zu feiern. Das war vor 20 Jahren. Seitdem kommen beide jedes Jahr zur gleichen Zeit.

„Die meisten Deutschen können sich gar nicht vorstellen, wie ruhig und schön es zu dieser Zeit auf der Insel ist, wenn die Mandelbäume blühen. Ein wirkliches Naturschauspiel“, sagt Mücke. Dann muss er sich konzentrieren. Schließlich will er die kleinen, zierlichen Mandelblüten nicht kaputt machen – sie sollen zur Zierde in ein Parfüm-Flacon.

„Die Blüten sind sehr empfindlich. Du musst sie also ganz vorsichtig abtrennen“, sagt Verónica Benito. Die Mallorquinerin, ihr Bruder Enric und Vater Miguel Angel unterhalten auf einer kleinen Finca in Pont d’Inca nordöstlich von Palma das kleine Familienunternehmen Rover, das unter der Marke Flor d’Ametler Parfüme, Duftwässerchen, Seifen und Cremes aus mallorquinischen Mandeln herstellt.

Gerade kommen Enric und sein Vater im Geländewagen mit Körben voller Mandelblüten-Äste von der Plantage zurück. Sie wurden alle handgepflückt und müssen noch am selben Tag verarbeitet werden, damit sie nicht verwelken. Die ganze Familie hat sich dafür versammelt.

Später werden die zarten Blüten in größere Glasgefäße in Mazerationsflüssigkeit eingelegt. „Zwischen drei und fünf Jahre fermentieren sie hier. Das hängt davon ab, wie trocken oder regnerisch der Winter und die damit verbundene Konzentration des Öls und des Aromas war“, erklärt Enric.

Der Vater übernahm die Finca vor rund 40 Jahren vom Chemiker Bernat Vallori, der das Unternehmen 1930 gründete. Im Labor auf der Finca werden die unterschiedlichen Mandelduft-Essenzen gemischt. „Auf Mallorca gibt es aufgrund der zahlreichen Mikroklimata bis zu 120 verschiedene Mandelbaumarten. Einige wachsen in den Bergen, andere direkt am Meer, und alle haben ihre ganz besondere Duftnote“, sagt Enric. Auf der Finca können Besucher nicht nur die verschiedenen Mandelsorten und ihre Merkmale, sondern auch die Produktion von Ölen und Cremes kennenlernen.

Auf Mallorca gibt es heute rund sieben Millionen Mandelbäume. Hunderttausende schmücken an der Westküste Felder und Berghänge zwischen Palma und Port d’Andratx sowie in der Region zwischen Esporles, Valldemossa und Soller. Im Tramuntana-Gebirge gibt es zahlreiche wildwachsende Mandelbäume. Im Inselinneren sind besonders die Regionen um Montuiri, Llucmajor und Sineu für ihre Mandelbäume bekannt. Im Osten sind sie bei Santanyi, Portocolom, Felanitx sowie der Cala Figuera und Cala Millor zu finden.

Zur Blütezeit zwischen Ende Januar und Anfang März kann man auf Wanderungen oder Fahrradtouren ein prächtiges Farbspektakel erleben. Die Bittermandelbäume haben rosa, die Süßmandelbäume weiße Blüten. Je nach Region blühen sie zeitversetzt.

Auch kulinarisch kommt man auf Mallorca an den Mandeln nicht vorbei: Spanferkel werden auf der Insel mit Mandeln und Knoblauch gefüllt. Es gibt Mandelkäse, verschiedenste Süßspeisen aus Mandeln, kalte Mandelmilchgetränke wie die Horchata de almedra und cremige Mandelliköre. Und dann sind da natürlich noch die berühmten mallorquinischen Gató-Mandelkuchen.

„Selbstverständlich verarbeiten wir dabei ausschließlich mallorquinische Mandeln, die qualitativ und geschmacklich viel besser sind als die kalifornischen Mandeln aus der Massenproduktion“, sagt Antonia Calafat. Die Gatós aus ihrer Bäckerei Ca’n Molinas in Valldemossa gehören zu den bekanntesten auf der gesamten Insel. Sie backt die Mandelkuchen heute noch nach dem Rezept ihres Vaters.

Mallorcas Mandelbauern können nur noch überleben dank lokaler Unternehmen und dem steigenden Interesse von Touristen. Die Konkurrenz aus Kalifornien ist groß – und produziert günstig.

Mandelbäume kamen im 10. Jahrhundert mit den maurischen Besatzern nach Mallorca. Aber erst ab 1870 wurde auf der Insel verstärkt mit der Mandelproduktion begonnen. Der Grund ist ein Unglück: Eine Reblausplage befiel die traditionellen Weinreben, und so mussten Mallorcas Bauern und Winzer nach Alternativen suchen.

Doch der Preisverfall und seit 2008 wiederkehrende Pilzplagen haben den Mandelbaumbestand fast halbiert. Die Touristen, die in der Vorsaison dem Winter entfliehen, bringen langsam eine Kehrtwende. Auch Veranstalter bieten jetzt häufiger spezielle Mandelblüten-Reisen nach Mallorca an. Sogar ein Mandelblütenfest findet Mitte Februar auf Mallorca statt: die Fira de la Flor d’Ametler in Son Servera.

Wer gar nicht genug von Mandeln bekommt, der sollte im Hochsommer zur Ernte nach Mallorca zurückkehren. Dann werden auf kleinen Plantagen unter den Bäumen Netze ausgebreitet und die lockersitzenden Früchte mit langen Stöcken abgeschlagen. Verschiedene Fincas bieten Touristen die Möglichkeit, bei der traditionellen Mandelernte zu helfen.

(dpa)