Vulkanlandschaft Auvergne: Naturtrip mit Maiwein


Die Vulkanlandschaft der Auvergne ist das Land der wilden Verführung. Mit ihren Kratern und Kegeln gehört sie zu Frankreichs größtem Nationalpark. Bekannt ist sie auch für ihre Wald- und Wiesenküche. In der Auvergene lernt man: Natur geht durch den Magen.

Der Weg führt durch Pinien, Fichten und Pflanzen, denen Christophe allen einen Namen gibt. „Hier rechts, der Lungenwurz, gleich daneben der wilde Chicorée und der Große Sauerampfer.“ Vom Lungenwurz pflückt er die rotvioletten Blüten, vom Sauerampfer und Chicorée die grünen Blätter. Zutaten für unser Mittagessen: Suppe als Vorspeise, gefolgt von Frühlingsrollen und Beignets, frittierte Teigtaschen. Zum Aperitif: Pesto-Häppchen mit einem Schluck Maiwein – alles aus wilden Pflanzen.

Christophe Anglade ist Bergführer. Er hat sich vor mehreren Jahren in Orcival niedergelassen, einem knapp 250 Einwohner großem Dorf in Frankreich, das keine 5 Kilometer Luftlinie vom Puy de Dôme entfernt ist. Der Vulkan liegt 1465 Meter hoch in der Auvergne im französischen Zentralmassiv. Er ist der höchste Gipfel der Chaine des Puys, einer Kette vulkanischer Berge. Sie erstreckt sich auf rund 30 Kilometern und umfasst über 80 Vulkane, die seit mehr als 6000 Jahren schlafen.

Die Vulkankette ist mit ihren zahlreichen Pfaden ein Paradies für Wanderer. Auf dem Gipfelweg kann man die knapp 50 Kilometer lange Hügellandschaft in zwei bis drei Tagen umwandern. Wir haben uns heute für den Aufstieg auf den Puy de Dôme entschieden, den Riesen der Vulkankette. Ausgangspunkt ist der Col de Ceyssat auf 1078 Meter Höhe, nur 20 Autominuten von Clermont-Ferrand entfernt, der Hauptstadt des Départements, das den Namen des Vulkans trägt.

Der Anstieg auf dem drei Kilometer langen Chemin des Muletiers, dem Weg der Maultiere, zieht sich sanft durch die saftigen Wiesen. Jeder Schritt, der uns dem Höhenziel näher bringt, gibt neue Ausblicke preis und lässt den Grund erahnen, warum auf diesem Weg schon die Gallorömer gepilgert sind. Zur Verehrung ihres Gottes Merkur gab es keinen majestätischeren Ort als den Gipfel des Puy de Dôme: Denn hier ist der Horizont grenzenlos und das Gefühl der Weite überwältigend.

Der Rundumblick auf 1465 Meter Höhe ist ein echtes 360-Grad-Foto: Wiesen, mit Wäldern bewachsene Höhen und eine Mondlandschaft aus Kratern und Kegeln.

Seit 2012 erklimmt die elektrische Zahnradbahn „Panoramique des Dômes“ die fünf Kilometer bis zur Vulkanspitze. Bei 20 bis 30 Stundenkilometer schafft sie den Aufstieg, für den wir knapp eine Stunde brauchen, in 15 Minuten. Bis zu 400 Personen können pro Fahrt transportiert werden. Jährlich zieht der Puy de Dôme rund 450 000 Besucher an.

Die Menschen pilgern seit der Antike den Vulkan hoch. Die keltischen Arverner inspirierte er im ersten Jahrhundert zur Errichtung eines Heiligtums für ihren Gott Dumiatis. Den Vorfahren der heutigen Bewohner der Auvergne folgten die Galloromanen. Sie weihten Merkur, dem Gott für Handel, Gewerbe und Reichtum einen Tempel. Die Ruinen der im zweiten Jahrtausend errichteten Kultstätte sind noch heute Zeugen der Vergangenheit.

Die Chaîne des Puys ist die Teil des regionalen Naturparks Volcans d’Auvergne, des größten Naturparks Frankreichs. Über 2500 Pflanzen wachsen hier, denn die Böden aus verwitterter Lava sind äußert fruchtbar. „Ich habe viele Freunde hier“, erklärt Christophe und zeigt auf die Flora und Fauna am Wegrand. Dabei bückt er sich nach einer krautigen Malve und steckt mehrere der langen und spitz zulaufenden Blätter des Spitzwegerichs in seinen Pflanzenbeutel. Wie wir von Christophe auf dem Rückweg zum Col de Ceyssat erfahren, war der Spitzwegerich bei den Germanen wegen seiner Heilkraft bei Husten, blutenden Wunden und Kopfschmerzen hoch geschätzt. Auch bei anstrengenden Wanderungen und schmerzenden Füßen sei er heilsam, meint er schmunzelnd. Man bräuchte nur einige Blätter in den Schuh zu legen. Da unsere Wanderung nach gut zwei Stunden aufhört, macht niemand von seinem Rat Gebrauch. Und so kommt der Spitzwegerich in den Pflanzenbeutel als Zutat für unser Mittagessen in Les Eydieux bei Marie-Claire und Cyr.

Les Eydieux besteht aus wenigen Häusern und liegt bei Saint-Angel im Norden des Puy de Dôme in der Limagne-Ebene. Wir fahren die knapp 24 Kilometer mit dem Auto: Wiesen, so weit das Auge reicht, hier und da Granit- und Lavaformationen. Auf den letzten Metern wird die Straße zu einem Hoppelweg, an dessen Ende uns Marie Claire und Cyr erwarten.

Marie Claire stammt aus der Region Poitou-Charentes an der Atlantikküste, Cyr aus dem Berry in Zentralfrankreich. „Wir haben mit unseren drei Kindern nach einem abgelegenen Ort am Ende der Welt gesucht“, erzählt sie. Das war 1995. Seitdem lebt das Paar in dem alten Bauernhof, den sie 2004 teilweise zu einem Bed & Breakfast umgewandelt haben. „Hier herrscht Nattitude-Geist“, verkündet Marie Claire stolz. Womit sie meint: Erholung und Natur pur.

Sie sei die perfekte Pflanzenkennerin, behauptet Christophe und leert unsere Ausbeute aus bunten Blüten und Blättern auf das Picknick-Tuch, das er auf der Wiese vor dem Haus ausgebreitet hat. Marie Claire serviert uns ihre hausgemachte Holunderlimonade, Christophe wäscht und hackt die Nesselblätter fein, die er zusammen mit einer geschnittenen Zwiebel und Knoblauchzehe in das kochende Wasser auf dem offenen Feuer gibt. Während die Suppe köchelt, stoßen wir mit Maiwein an – gegorenem Traubensaft mit 15 bis 20 Strängen Waldmeister versetzt. (dpa)

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