Gibraltars Tourismus und der Brexit



Bei den Brexit-Verhandlungen um den Austritt Großbritanniens aus der EU gibt es viele Stolpersteine. Einer von ihnen ist ziemlich massiv, im wörtlichen Sinne. Der Stein ist 426 Meter hoch, secheinhalb Quadratkilometer groß und liegt fernab der britischen Inseln an der Südspitze Spaniens: Gibraltar.

Bereits 1704 nahm Großbritannien den strategisch wichtigen Felsen an der Meerenge zwischen Europa und Afrika in Besitz. Seit Jahrhunderten fordert Spanien den sogenannten Affenfelsen zurück. Nur knapp 32.000 Menschen leben dort. Die Brexit-Verhandlungen haben den Streit um Gibraltar neu entfacht. Vor allem Gibraltars Tourismusbranche zittert vor den möglichen Folgen. Denn „The Rock“ ist extrem vom freien Waren- und Personenverkehr mit Spanien und vom Tourismus abhängig.

Restaurants, Hotels und Supermärkte müssen alles aus Spanien importieren. In den Geschäften arbeiten hauptsächlich Spanier. „Täglich pendeln über 7.000 Personen über die Grenze. Dürfen sie nach einem Austritt aus der EU noch in Gibraltar arbeiten?“, fragt sich Julian Byrne, Vorsitzender von Gibraltars Kleinunternehmer-Verband.

Nicky Guerrero, Gibraltars Tourismus-Direktor, beruhigt: Madrid werde wegen der hohen Arbeitslosenquote in der Region um Gibraltar kein Interesse an Grenzkontrollen und verschärften Arbeitsbedingungen für Spanier in Gibraltar haben. Doch was ist mit den Touristen?

Mehrere Millionen Urlauber besuchen jährlich den „Affenfelsen“. Die meisten kommen über die Landgrenze. Werden sie das immer noch tun, sollte Spanien die Grenzkontrollen nach einem Brexit verschärfen? „Ich bin mir sicher. Gibraltar hat viel zu bieten“, sagt Guerrero.

Mit Blick auf die geringe Landfläche hat er objektiv gesehen nicht Unrecht: Gibraltar ist klein und sicher. Das macht das britische Überseegebiet vor allem für Kreuzfahrtschiffe attraktiv, die hier für Tagesausflüge anlegen. Allein im Jahr 2016 empfing Gibraltar 400.000 Kreuzfahrtgäste – Tendenz steigend.

Besonders beliebt ist Gibraltar als Shopping-Paradies. Es gibt hier keine Mehrwertsteuer. So decken sich die meisten Urlauber mit Tabak, Alkohol, Parfüm, Uhren, Schmuck und elektronischen Geräten ein. Mit Eastern Beach, Catalan und Sandy Bay erwarten drei Mittelmeerstrände die Besucher. In der Straße von Gibraltar stehen Wracktauchen, Segeln und Delfin-Beobachtung auf dem Programm.

Gibraltars touristische Höhepunkte findet man aber weiter oben, im Naturschutzgebiet Upper Rock, wo rund 300 Berberaffen ihr Unwesen treiben. Es sind die einzigen freilebenden Affen Europas. Vor allem aber sind sie rotzfrech. Der Besuch der alten Araber-Burg und die Sicht nach Marokko sind beeindruckend. Auf einen Blick sieht man drei Länder, zwei Kontinente und zwei Weltmeere. Das ist einzigartig, aber auch gefährlich. Denn die kleinen Affen warten nur darauf, Brillen, Taschen, Geldbörsen und Essen zu klauen.

Der Kalksteinfelsen beherbergt Dutzende gigantischer Tropfsteinhöhlen wie die St. Michael’s Cave. Der Gorham-Höhlenkomplex wurde 2016 sogar zum Unesco-Weltkulturerbe erklärt. Hier lebten die letzten Neandertaler Europas. Felsritzungen und Werkzeuge, die heute im Gibraltar-Museum ausgestellt sind, sind viele Tausend Jahre alt.

Neben den Höhlen haben die britischen Soldaten im 18. Jahrhundert und während des Zweiten Weltkriegs mehr als 50 Kilometer Verteidigungs- und Schutztunnel angelegt, die heute besichtigt werden können. „The Rock ist wie ein riesiger Schweizer Käse“, sagt Touristenführer Tito Vallejo. Geschichtlich ist Gibraltar hoch interessant: Im Altertum soll der Ort eine der Säulen des Herakles gewesen sein. Danach siedelten sich hier Phönizier und Römer an. 711 wurde Gibraltar von den muslimischen Berbern eingenommen. Vor allem aber ist Gibraltar anders als die meisten Urlaubsorte. Das merkt man schon bei der Ankunft. Vor der Grenze stauen sich die Autos seit mehr als einer Stunde. Nichts geht mehr. Der Grund: Es kommt gerade ein Flieger aus London – und die Grenze bleibt geschlossen, weil die Landebahn quer über die Winston Churchill Avenue führt, die einzige Zugangsstraße vom Grenzübergang nach Gibraltar.

In der Stadt selber weiß man auch nicht so recht, ob man nun in Spanien oder Großbritannien ist. Auf dem Casemates Square servieren Kellner Fish and Chips und Paellas, britisches Bier und spanischen Rotwein. Die typischen britischen Telefonzellen stehen neben Palmen. Auf der Main Street patrouillieren britische Bobbys unter spanischer Sonne. Wer aus „Marks & Spencer“ kommt, wird von einem heißen Wind aus Marokko empfangen. British Breakfast kurz vor Afrika.

„Gibraltar ist geschichtlich, sprachlich, architektonisch und kulturell eine Mischung aus Großbritannien, Spanien, Portugal, Malta, Italien und Marokko. Wir haben uns einfach das Beste aus jeder Kultur genommen“, erklärt Tito Vallejo. Gibraltar sei ein multikulturelles Vorbild für die Welt: „Hier haben Juden, Christen, Muslime und Menschen aus den verschiedensten Regionen der Welt immer friedlich zusammengelebt.“ Doch war der strategisch begehrte Affenfelsen stets bedroht, wie die omnipräsenten Kanonen und Verteidigungstunnel zeigen. Die helfen aber nicht gegen den Brexit. (dpa)

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