Die Plitvicer Seen, ein Naturspektakel von Weltformat


Die Plitvicer Seen in Kroatien sind ein Naturspektakel von Weltformat. Im Sommer erdrücken die Massen den Nationalpark fast. Experten fordern, den Zustrom der Besucher zu begrenzen. Doch für die arme Region ist der Tourismus überlebensnotwendig.

Titos Villa steht weder im Reiseführer noch auf der Landkarte. Man fährt durch den Wald, und plötzlich steht mitten im Nirgendwo eine Burg. Die Fenster sind zersplittert, der Marmor von der Treppe gehackt. Früher sei jedes Zimmer mit anderem Holz möbliert gewesen, erzählt Helena Petrovic. Parteibonzen urlaubten hier im Haus des jugoslawischen Staatschefs. Doch als der Bürgerkrieg der 1990er Jahre endete, rissen Plünderer die edlen Stoffe und Hölzer von den Wänden. Heute sei die Villa vergessen. So wie viele Orte rings um die weltberühmten Plitvicer Seen in Kroatien.

Der Nationalpark ist eine Weltikone. Fotos der türkisen Wasserfälle stehen in Listen der spektakulärsten Naturwunder. Die Unesco ernannte die Perlenkette aus Seen und Kaskaden 1979 zu einer der ersten Weltnaturerbe-Stätten. Seitdem strömen Touristen herbei. Mehr als 1,3 Millionen zählte die Parkverwaltung im Jahr 2016. Erstaunlich ist: Im Großteil des Nationalparks merkt man davon nichts.

„Mehr als 90 Prozent unserer Besucher haben keine Ahnung, was Natur und Wandern bedeuten“, sagt Petrovic. Die 58-Jährige führt seit Jahrzehnten Touristen durch den Nationalpark. Fast alle Gäste sind Tagesausflügler, die in ein paar Stunden die Höhepunkte sehen wollen. An manchen Augusttagen schieben sich mehr als 13 000 Menschen über die Plankenwege zwischen Seen und Wasserfällen.

Dabei ist es so leicht, den Massen zu entkommen. Doch nur wenige Wanderer gehen auf den Wegen hoch über den Seen durch den Wald. Die weiteste Tour führt zum Corkova uvala, einem Urwald, der seit 300 Jahren nicht von Menschen angerührt wurde. Nur Wissenschaftler dürfen ihn betreten. Wanderer führt der Weg an seinem Saum entlang. Zwischen Buchen und Tannen wachsen seltene Pflanzen. Und theoretisch gibt es auch wilde Tiere zu sehen: Rund 20 Braunbären und drei Wolfsrudel streifen durch den Wald, auch wenn man sie praktisch nie sieht.

Für die meisten Gäste ist das zu viel Abenteuer. Ihnen ist es aufregend genug, auf Holzstegen über gurgelnde Kaskaden zu spazieren. Sie stehen morgens an der Fähre an, die sie über den Kozjak-See bringt. Dann folgen sie dem Rundweg um die Seen. Bildschön ist diese Wanderung immer noch – besonders wenn man früh aufsteht oder in der Nebensaison kommt. Überall plätschert das Wasser, niedrige Staumauern grenzen Pools ab, die aussehen wie Pyramiden von Sektgläsern. Die Natur hat sie aus dem gleichen Stoff gebaut wie die majestätischen Wasserfälle dahinter: Travertin.

Der Prozess, in dem sich der Kalkstein bildet, ist fragil. Und deshalb, sagt Petrovic, dürfe man seit 1991 nicht mehr in den Seen baden. Denn Schweiß und Sonnencreme würden das Wasser verschmutzen und die Moose, Gräser und Bakterien schädigen, die für die Bildung des Travertins entscheidend sind.

„Ich denke, dass man die Zahl der Besucher begrenzen muss“, sagt Petrovic. „Ein Maximum pro Stunde wäre sinnvoll.“ Doch es sind eben die großen Reisegruppen im Sommer, die auch das große Geld bringen. Und die Lika, eine fast menschenleere und arme Region Kroatiens, braucht dieses Geld: „Der Nationalpark ernährt 1200 Menschen.“

Die Lika war immer schon arm, aber der Krieg hat auf der kargen Karstebene alles schlimmer gemacht. Wer die Hauptstraße von Zagreb zum Meer verlässt, fährt noch heute über Schlaglochpisten zwischen ausgebrannten Häusern. „Das einzig Gute am Krieg ist, dass wir jetzt viel Natur haben“, sagt Mario Mihajlik, 49. Er fing vor 24 Jahren an, Rafting für UN-Soldaten auf der Dobra anzubieten. Mittlerweile hat er auch Kanutouren auf der Mreznica im Programm. Der Karstfluss sieht mit seinen Travertinbarrieren aus wie eine Mini-Ausgabe der Plitvicer Seen. Sein Wasser ist so rein, dass man es trinken kann. Trotzdem kommen nicht viele Urlauber hierher. Kroatien ist ein Badeland am Meer, Aktivurlaub wie Rafting oder Mountainbiken noch nicht etabliert.

So weltvergessen wie die Dörfer ist Rastoke längst nicht mehr. Der historische Kern des Städtchens Slunj hat in den vergangenen Jahren einen kleinen Boom erlebt. Der Grund für den Andrang ist eine Reihe von Wasserfällen mit so poetischen Namen wie Feenhaar, über die sich die Slunjcica in die Korana ergießt. Im 17. Jahrhundert hat man auch noch Mühlen über die Fälle gebaut und zwischen ihnen hölzerne Brückchen. Jetzt sieht das Ganze aus wie ein Filmset – zumindest wenn man die Betonbrücke im Hintergrund wegretuschiert.

Vor 60 Jahren habe es mehr als 40 Mühlen gegeben, sagt Claudio Otocan. „Jede Familie hatte eine Mühle.“ Otocan, 51, zeigt Touristen die Mühle seiner Schwiegermutter. Sie sei als eine der ersten gebaut worden. Und sie funktioniert noch immer.

Heute verdienen einige Familien wieder gut mit den Touristen, die vor allem aus Fernost kommen. Seit vor ein paar Jahren ein berühmter Moderator hier eine Dokumentation drehte, ist Rastoke in Südkorea berühmt. Die Regierung hat das Potenzial erkannt und Rastoke als Kulturgut geschützt. Hier, denkt man sich, könnte es Tito auch gefallen haben.

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