Männer, die auf Kühe starren

Philipp Wenz lässt ein Rind seine Hand beschnuppern. | 4

Von Nico Pointner

Der Mann, dem die Kühe vertrauen: Phillip Wenz hat einen eher außergewöhnlichen Job. Von der Bezeichnung „Kuhflüsterer“ hält er aber reichlich wenig. „Das würde ja implizieren, dass ich flüstere“, sagt er.

Aber wenn Wenz mit Kühen kommuniziert, dann ist es meist ganz still. „Ich schweige“, sagt Wenz. Ganz ruhig läuft er neben ihnen her, den Mund verschlossen, die Hände in der Hose. „Rumgefuchtel macht die Tiere nervös“, sagt er.

Philipp Wenz ist Experte für „Low-Stress-Stockmanship“ und Herdenmanagement. Auf Deutsch: Er zeigt Rinderhaltern, wie sie sicher und stressfrei mit ihren Tieren umgehen. Denn das Verhältnis von Mensch und Rind liegt seiner Meinung nach oft im Argen. Zu große Betriebe, zu viele Kühe in zu kleinen Ställen, mehr Technik, gestresste Menschen, die die Tiere nicht verstehen – und andersrum.

„Bei aller Sensortechnik und Automatisierung im Stall zeichnet die erfolgreichen Betriebe aus, dass sie einen Blick fürs Tier haben“, sagt der 47-Jährige. Die Halter müssten sich die Eigenarten der Tiere zunutze machen und den Tieren die Zeit geben, die sie brauchen. Dadurch werde die Arbeit einfacher und effektiver– und auch sicherer. Jährlich verzeichnet die Sozialversicherung für Landwirtschaft, Forsten und Gartenbau in Deutschland etwa 8000 meldepflichtige Unfälle mit Rindern, rund 10 davon sind tödlich. „Es passiert immer wieder, dass Landwirte zerquetscht werden“, sagt Wenz.

Wenz steht im schwäbischen Dorf Jungingen in einem Seminarraum vor 20 Landwirten. Die baden-württembergische Rinderunion hat ihn eingeladen. Auf einer Schreibtafel neben ihm hat er eine Kuh skizziert, sie ist von Strichen, Kreisen und Pfeilen umgeben. Daneben stehen Begriffe wie „Neutrale Zone“, oder „Bewegungszone“. „Passen sie Ihre Geschwindigkeit den Tieren an“, rät er den Mutterkuhhaltern. Die hören aufmerksam zu. Wenz zeigt verblichene Filmaufnahmen aus den USA, von Cowboys, die neben Kühen stehen, und Kühen, die wie von Geisterhand bereitwillig in den Stall marschieren.

Seine Methode hat der Landwirt in den USA gelernt. Er bietet mittlerweile Schulungen in Deutschland an, in der Schweiz und den Niederlanden. Sein Prinzip ist simpel: Kommt der Mensch der Kuh zu nah, bewegt er sich in ihre Komfortzone, dann geht die Kuh weg. Nur über seine Position zum Tier und seine Geschwindigkeit kontrolliert Wenz die Rinder. So lassen sich die Tiere stressarm in den Stall treiben, zum Klauenschneiden oder zum Melken. Dieses Konzept klappt nicht nur bei Rindern. Er habe schon mit Schafen und Alpacas, Gänsen, und Truthühnern gearbeitet, berichtet Wenz.

Am späten Nachmittag steht er in Jungingen auf der Weide, es nieselt. Ein paar Dutzend Aberdeenrinder entspannen sich auf einem saftig-grünen Hügel, manche liegen, manche stehen, andere grasen vor sich hin. Die Mutterkühe lassen sich vom Regen genauso wenig stören wie von den Rinderhaltern, die sie anstarren. „Ich kenne die Tiere nicht, aber es kann nichts schiefgehen“, sagt Wenz und tritt durch das Gatter auf die Weide.

„Der erste Eindruck ist sehr wichtig“, sagt er und läuft langsam im Zick-Zack-Kurs auf die Rinder zu. Nun tut sich was. Manche werden unruhig, andere neugierig. Sie verlieren Wenz nicht aus den Augen, wie auch, bei einem Blickfeld von 330 Grad. Wenz schiebt die Herde allein durch seine Präsenz gemächlich vor sich her. Immer wieder brechen Tiere aus dem Verbund aus, immer wieder verirren sich Rinder im angrenzenden Waldstück. Mit unwahrscheinlicher Geduld bewegt sich Wenz über die Weide.

„Ich locke sie normalerweise über Stimme, Brot und Leckerli“, sagt Benjamin Junck, dem die Angusrinder gehören. Er steht im Schlamm und blickt skeptisch auf das Treiben auf der Weide. „Ich habe die ganz anders trainiert.“ Besonders das zehn Monate alte Jungrind Björk sei sehr störrisch, mit dem habe er immer wieder Probleme. „Wenn er die kriegt, bin ich überzeugt“, lacht Junck.

Nach rund zwei Stunden hat Wenz die Herde im Griff. Es ist ganz ruhig, als er sie ins kleine Gatter treibt, nur vereinzelt muht eine Kuh. Die Landwirte klatschen. Auch Bauer Junck ist beeindruckt. „Über viele Wiederholungen gewöhnen sie sich daran. Sie lernen“, erklärt Wenz. Sein Credo: Sei nett und freundlich zum Tier. Denn die können mitarbeiten – oder eben nicht. „Die können ja nicht kündigen und einen anderen Bauern suchen.“ (dpa)