Eupener stritten sich in Ketteniser Kneipen

Lange bevor jemand daran dachte, die Gemeinde Kettenis und die Stadt Eupen zu einer Verwaltungseinheit zu verschmelzen, erschien im Dezember 1948 im GrenzEcho der nachfolgend wiedergegebene Artikel. Der Aufsatz ist nicht gezeichnet, doch kann man davon ausgehen, dass der damalige Lokalredakteur Dr. Otto Eugen Mayer Autor desselben gewesen ist.

Kettenis und Eupen gehörten beide zum Herzogtum Limburg, jedoch nicht zu derselben Hauptbank. Während Eupen von der Hochbank Baelen abhängig war, zählte Kettenis zur Hochbank Walhorn. Deshalb hatten sie in der Verwaltung verhältnismäßig wenig miteinander zu tun.

Beträchtlicher Verkehr zwischen den beiden Orten

Infolge der nachbarlichen Lage aber entwickelten sich zwischen ihnen andere Beziehungen, auf wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und religiösen Gebieten, die nicht ohne Interesse sind.

Dass, wohl seit dem 17. bis zum Anfang des 20. Jahrhunderts, viele Ketteniser für Eupener Tuchfabrikanten spannen und webten, ist bekannt. Es gab daher einen beträchtlichen Verkehr zwischen den beiden Orten, wenn die Spinner (übrigens auch aus anderen Dörfern) Wolle in Eupen abholten und Garn ablieferten, wenn die Weber dort das Garn empfingen und das Tuch auf Handwagen zu den Eupener Tuchkaufleuten brachten.

Außer auf Fußpfaden bewegten sie sich dabei meistens auf der Heidgasse, die östlich der heutigen Landstraße nach der Obersten Heide führt. Von dort erreichten sie Eupen durch die Schnellewindgasse, die Beginengasse oder auf dem Wege Raeren-Eupen an den Rahmen vorbei, von denen die beiden letzteren sofort zum Werthplatz, einem Zentrum des Eupener Lebens, führten. In Aktenstücken des 18. Jahrhunderts wird als Verbindung ferner ein „Steinweg“ erwähnt, dessen Verlauf aber selbst mit Hilfe alter Karten nicht mehr festzustellen ist. (A.d.R.: Man könnte vermuten, dass es sich hierbei um den Trüchensteinweg gehandelt hat, der noch heute parallel zur Aachener Straße von der Schönen Aussicht nach Kettenis verläuft. Einst hatte dieser Weg eine Fortsetzung bis zur Nöretherstraße in Eupen.)

Beschwerde beim Hohen Rat von Brabant

Die meisten alten Wege waren nicht befestigt und deshalb in der schlechten Jahreszeit für Fußgänger und Fahrzeuge geradezu unbenutzbar. Im Frühjahr sollten sie von den anliegenden Grundbesitzern oder den Gemeinden ausgebessert werden; in der Bank Walhorn geschah dies auch, obwohl die Behörden scharf zufassen mussten.

In Eupen war der Inhaber der Herrlichkeit Eupen mit der Wegeaufsicht betraut; aber 1724 beschwerten sich die Ketteniser beim Hohen Rat von Brabant: Sie müssten in ihrem Bezirk die Wege in Ordnung halten; der Meyer von Eupen aber habe seit Menschengedenken nichts mehr für die Wege auf der Eupener Seite getan. Die Eupener sorgten nicht einmal für sich selber. Wegen des großen Verkehrs solle der Rat den Meyer von Eupen zwingen, die Wege zu begehen und ausbessern zu lassen. Auch möge der Rat die Eupener zwingen, die Bewohner der Bank Walhorn von dem Wegegeld zu befreien, das sie vom „Steinwege“ erhöben, schrieben die Ketteniser.

Trotzdem geschah, wie ein Schriftstück des Eupener Archivs behauptet, bis zum Jahre 1731 nichts. Deshalb mag mancher auf einem Umweg über die Hochstraße von Kettenis nach Eupen gefahren sein.

Die mit all diesen ärgerlichen Zuständen verbundenen Erschwerungen hörten erst auf, als am 1. November 1828 die jetzige Landstraße von Eupen nach Aachen eröffnet wurde.

Allerdings musste für deren Benutzung an der Barriere (Wegeschranke) in Kettenis noch lange ein Wegegeld entrichtet werden. Und wer seit 1906 die Straßenbahn benutzte, musste ebenfalls für die Bequemlichkeit bezahlen. Aber Kauf und Verkauf gewerblicher oder landwirtschaftlicher Erzeugnisse hinüber und herüber waren nicht mehr behindert.

Ketteniser Wirtschaften lockten die Eupener an

Auch der gesellschaftliche Verkehr vollzog sich nun leichter, der gegenseitige Besuch von örtlichen Festen, Märkten und Kirmessen wurde eifrig gepflegt. Die Ketteniser waren zwar schon um 1710 zum Beispiel am Lambertustage (15.8.) in solchen Mengen nach Eupen zum Markt geströmt, dass Heinrich Martens, der von 1705 bis 1721 Pfarrer von Kettenis war, aus seelsorgerischen Gründen etwas dagegen tun musste. Und zu derselben Zeit haben schon Ketteniser Wirtschaften auf Eupener anlockend gewirkt.

Aber anscheinend erst um 1830, nach dem Bau der Aktienstraße Eupen-Aachen, luden die Inhaber von Ausflugslokalen ein zu Kaffeepartien, zu regelmäßig stattfindendem Tanz, zum Vogelschießen um Fleisch oder Geld, und zwar nach Kettenis selber, nach Schloss Thal und ins Lokal „Zur schönen Aussicht“, auf der Höhe gelegen, kurz vor der Abfahrt ins Ketteniser Tal..

Wenn gar Kirmes war, strömten die Besucher nur so herbei; und manchmal gab es schon zu früher Stunde, nach der alten Väter Sitte, Hiebe von der besten Sorte, wenn ein Eupener versuchte, mit einer der Ketteniser Dorfschönheiten anzubändeln.

Ganze Prozessionen pilgerten von Eupen nach Kettenis

Was die religiösen Beziehungen angeht, so erwähnen wir nur einige besonders auffällige Tatsachen. Vielleicht schon im 17. Jahrhundert pilgerten ganze Prozessionen von Eupen nach der 1648 errichteten Ketteniser Pfarrkirche zur Verehrung der heiligen Nothelfer Rochus, Katharina und Barbara. Und als man später zur Rochuskapelle an der Hochstraße wallfahrte, zogen in Zeiten ansteckender Krankheiten auch Eupener dorthin.

Vor 1700, also zu einer Zeit, wo die meisten Leute noch nicht lesen konnten, darum auch von der Heiligen Schrift nur wussten, was man ihnen vorgelesen oder erzählt hatte, begann der Ketteniser Pastor Jean Leonard Longuehaie (1675-1705) damit, am Passionssonntag vormittags die Leidensgeschichte des Herrn seiner Gemeinde vorzutragen. Das war etwas ganz Neues, Interessantes, sodass man in der Gegend davon sprach. Und auch viele Leute aus Eupen kamen dazu nach Kettenis. Aber wie dies in jenen Zeiten nun einmal war, neben das Heilige trat sogleich der übermütige Unfug. Sicher nicht alle, aber eine Reihe von Eupenern erregten gelegentlich durch ihr Verhalten schon in der Kirche, besonders aber nachher in den Kneipen Ärgernis, sodass der eifrige Seelenhirte sich gezwungen sah, der Störenfriede wegen die Lesungen einzustellen.

Er las von da ab nur noch an verschiedenen Sonntagen Teile der Passion vor, was längere Jahre üblich blieb.

Und noch einmal spielte Kettenis für manche Eupener eine Rolle. In der Franzosenzeit ordneten die Machthaber an, dass die Priester ihnen einen Treueeid schwören sollten.

Da schworen im Eupener Bezirk die meisten Geistlichen; aber viele Eupener sahen es nun als unerlaubt an, dem Gottesdienst dieser geschworenen Priester beizuwohnen, und so besuchten manche von ihnen den Gottesdienst in Kettenis, der von nicht geschworenen Geistlichen zur Nachtzeit in Privathäusern, Scheunen oder Kellern abgehalten wurde.