Genter Avantrock-Duo Madensuyu veröffentlicht neue Platte

Stijn Ylode De Gezelle (r.) und Pieterjan Vervondel sind ein eingespieltes Team. Sie kennen sich aus der Schulzeit in Zwijnaarde. | Jan Mast



Madensuyu, das sind Stijn Ylode De Gezelle (Gesang, Gitarre/Klavier) und Pieterjan Vervondel (Schlagzeug). Die Band gibt es seit über 20 Jahren. Obwohl sich die Rezensenten immer aufs Neue überschlagen, und auch Dinosaur Jr. große Fans der Flamen sind, ist der ganz große Wurf ausgeblieben. Jetzt versucht es das Avantrockduo mit Klavier, eine Premiere in der Bandgeschichte. „Bei den vorigen Tourneen stand manchmal ein Klavier im Backstagebereich“, erzählt uns Pieterjan Vervondel im Interview. „Da spielte Stijn oft drauf. Für mich war es kein Schock, dass er auf einmal eine Platte mit einem Piano machen wollte.“

„Um das 40. Lebensjahr herum merkt man dann, dass sich einige Dinge ändern.“

Für Vervondel ist das Klavier „ein schönes Instrument, weil das Register sehr offen ist. Es steckt sehr viel Emotion drin. Wir spielen ohne Effekte auf dem Klavier. Nichts wird manipuliert. Bei den Gitarren ist das auch so. Wir gebrauchen keine Verzerrungen.“ Madensuyu haben ihre neue Platte „Current“ genannt. Ein großer Einfluss war der griechische Philosoph Heraklit, in dessen Augen sich alles ständig verändert – das Prinzip „Panta rei“ (alles fließt). „Madensuyu standen immer für Lebensfreude und Hoffnung“, unterstreicht Pieterjan Vervondel. „Um das 40. Lebensjahr herum merkt man dann, dass sich einige Dinge ändern. Man zerfällt ein bisschen. Diese Strömungen kommen hart rüber. Philosophien wie die von Heraklit kann man dann locker unterschreiben. Es war ein Einfluss für diese Platte, für die Texte, das Artwork. Wir haben daraus kreativ sehr viel schöpfen können.“ Das Thema kursierte schon bei den Aufnahmen zum letzten Album „Stabat Mater“. „Stijn hatte Latein als Wahlfach in der Schule. Er kannte diese Geschichten und Philosophien.“

Obwohl die Band nun das Piano in den Mittelpunkt rückt, bleibt der Sound typisch Madensuyu. „Madensuyu ist die einzige Band, in der wir in unserer ganzen Laufbahn gespielt haben“, berichtet der Schlagzeuger. „Wir haben uns vor 20 Jahren gegründet. Wir waren anfangs noch zu dritt. Wir hatten seinerzeit einen Bassisten. Der musste aufhören, weil er Probleme mit seinen Ohren hatte. Nach seinem Weggang haben wir unbewusst eine andere Art von Spielen entwickeln müssen, um alles live aufnehmen zu können. Beim Schaffensprozess von Madensuyu sucht Stijn zuhause nach Melodien und kommt damit zur Probe. Dann arbeiten wir an den Strukturen und bauen den Song zusammen. Jede Sekunde muss für uns beide stimmen. Der Madensuyu-Sound ist live entwickelt worden, auch weil wir sehr altmodisch auf Minidiscs aufnehmen. Wir wiederholen die Stücke x-mal, hören sie uns immer wieder an. Durch dieses ständige Wiederholen gehen die Lieder in unsere Körper über. Die spielen wir beinahe blind. Wenn man dann auftritt, sieht man sich nicht als Musiker. Man ist darauf aus, eine Geschichte zu erzählen.“

Ein Markenzeichen der Band ist das aufwendige Artwork zu jeder Platte. „Das hat sich so entwickelt. Als der CD- und Plattenmarkt wegen der digitalen Konkurrenz einstürzte, haben wir uns gedacht: Wir werden wohl noch CDs veröffentlichen, aber nur für die Leute, die sie auch wirklich haben wollen“, erklärt Pieterjan Vervondel. „Bei jeder Platte denken wir nach, welches Material zum Thema der Platte passen könnte. Wenn wir dann das Richtige gefunden haben, wollen wir es solange wie möglich pflegen, bis wir es in die Welt lassen.“ Vom neuen Werk „Current“ wurden als CDs 2.000 Exemplare in Umlauf gebracht. Schallplatten gibt es auch, die sind aber nicht so originell wie das CD-Artwork. „Stabat Mater“, das Vorgängeralbum, gab es beispielsweise in Holzboxen. Da Madensuyu schon lange im Geschäft sind, glauben sie nicht mehr an den großen Durchbruch im Ausland. Der Traum ist ausgeträumt. „Mit ‚Stabat Mater‘ hatten wir gute Kontakte in die USA“, erinnert sich Vervondel, der eine Zeit lang als Tänzer bei den renommierten Les Ballets C de la B. tätig war. „Wenn wir 20 Jahre alt wären und keine Kinder hätten – Stijn hat zwei, ich vier – dann könnte man das ins Auge fassen. Aber jetzt sieht das anders aus. Man würde sich aber kaputt spielen. Wir kennen die Stories von anderen Bands, die daran zerbrochen sind. Madensuyu ist zu wichtig für uns, um solche Risiken einzugehen. Vor zehn Jahren haben wir in England getourt. Wir haben uns damals gefragt: Was machen wir überhaupt? Das war nicht schön. Mit Internet kann man das Ausland jetzt auch so erreichen.“

Mit Madensuyu haben sich Pieterjan Vervondel und Stijn De Gezelle einen originellen Bandnamen ausgesucht. „Das ist türkisch und steht für Mineralwasser“, erklärt Pieterjan Vervondel. „Vor 26 Jahren, wir waren 14 Jahre alt oder so, probten wir bei Stijn zu Hause. Wir saßen in der Küche und tranken Kaffee. Seine Familie stand kurz vor einem Urlaub in die Türkei. Dann lag ein Wörterbuch auf dem Tisch und wir haben einen Finger auf ein Wort gesetzt und das war Madensuyu. Es handelt sich um reines Sprudelwasser auf einer Quelle. Pure Natur. Das stand für uns für sprudelndes Leben. Das gefiel uns.“

Und wie ist die neue Platte nun ausgefallen? In 34 Minuten haben Madensuyu alles erzählt. „Current“ ist ein Statement, ihr Statement zum Leben. Dass es immer weitergeht und man die Entwicklungen annehmen muss. Hört sich philosophisch an, ist es auch. „Die Platte geht um diesen ständigen Fluss“, sagte Drummer Pieterjan Vervondel im Interview. „Nichts bleibt, wie es ist. Wenn irgendetwas stoppt, kommt etwas Anderes an dessen Stelle. Man muss diesem Fluss folgen und nicht sitzen bleiben.“ Dem kann man zustimmen. Im Mittelpunkt steht diesmal das Klavier, eine Premiere in der Bandgeschichte. Der typische Sound bleibt dennoch erhalten. Mit „Current“ bleiben Madensuyu eine der spannendsten Gruppen des Landes.