Charlotte Jakobs: von der Schule zur Opernbühne

Oft ist es für Charlotte sehr stressig, ihr Hobby mit dem Schulalltag unter einen Hut zu bringen. Für das KinderEcho schrieb sie folgenden Beitrag:

„Ich bin Charlotte, 14 Jahre alt und singe in La Maîtrise, dem Kinderchor der Oper Lüttich. Ende Januar wurde die Oper Carmen aufgeführt. Bizet hat eine Oper geschrieben, in der Kinder vorkommen und da waren wir natürlich gefragt. Ein neues Abenteuer stand an!

Wir hatten schon monatelang geprobt, aber seit Anfang Januar immer intensiver: jeden Mittwoch und Samstag, oft von 14 bis 22 Uhr.

In der Woche vor der Premiere wurde es dann noch anstrengender. Täglich Probe, fast immer von 18 bis 22 Uhr, stand auf dem Programm. Zwischendurch gab es nur eine Pause zum Essen und um Hausaufgaben zu machen, dann ging es wieder weiter. Keine Zeit durfte verschwendet werden.

Nach den Proben kommen dann die Auftritte. Für Auftritte müssen wir anderthalb Stunden im Voraus da sein, da wir noch unser Kostüm anziehen müssen. Dazu kommen noch Schminke und eine halbe Stunde lang Aufwärmen der Stimmen. Danach geht es richtig los.

Die Kinder sind sofort im ersten Akt auf der Bühne gefragt. Sobald der Vorhang sich hebt, sind wir nicht mehr wir selbst, sondern kleine Stiere, denen man die Müdigkeit vom Tag nicht ansehen darf. Der Druck ist groß, da wir hier wie Profis behandelt werden und keine Fehler machen dürfen. Wir konzentrieren uns nur noch auf den Moment und vergessen alles andere.

Nach den langen Proben kommen die Stücke ganz von alleine.

Nach so langen Proben und Wiederholungen sind die Stücke für immer in unserem Gedächtnis eingeprägt. Es wird ein Reflex. Man hört die Melodie und den Text, den Rhythmus, die verschiedenen Verbesserungen, die über die Zeit dazugekommen sind… Alles kommt von alleine. Man steht da, vor über 1.000 Menschen und ist fasziniert. Die Lichter, die Kostüme und die Musik scheinen einer Fantasiewelt entsprungen. Das macht es einfach, das reale Leben zu vergessen. In diesem Moment sind wir Teil dieser Welt. Der Rest ist nicht wichtig. Adrenalin schießt durch unsere Adern und wir sind außer Atem. Auch wenn wir von der Bühne gehen, scheint alles noch surreal. Alle sind aufgeregt und plappern durcheinander über gefühlte und vermiedene Beinahe-Katastrophen. Gekicher begleitet uns in den Fluren auf dem Weg zu unseren Logen. Nach unserem ersten Auftritt haben wir eine Pause, in der wir alle etwas essen, miteinander reden oder Hausaufgaben erledigen, denn am nächsten Tag geht es auch für uns zur Schule.

Nach einiger Zeit steht eine neue Aufwärmung an, da sie jetzt wieder nötig ist. Unser nächster Auftritt fängt bald an und wir gehen schnell in die Kulissen, wo wir unsere Sachen bekommen und auf geht es. Wir sind wieder an der Reihe. Sobald wir fertig sind, müssen wir auch schnell wieder zu unseren Logen da wir nicht viel Zeit haben, uns aber umziehen müssen. Ein roter Umhang umgehangen und eine rote Maske aufgesetzt und schnell zurück auf die Bühne. Keine Zeit für unnötige Gedanken: Das große Finale steht an. Alle sind da: Solisten, Choristen, Tänzer, Akrobaten und wir. Ich versuche, mir alles einzuprägen, weil ich mich später an alles erinnern möchte.

Wenn der Vorhang sich schließt, lächeln alle glücklich.

Der Vorhang schließt sich und wir müssen alle in Stellung gehen. Das Ende ist gekommen. Noch eine Verbeugung und alles ist fertig. Wir gucken alle die Solisten an, die sich nun auch verbeugen und alle haben ein glückliches Lächeln im Gesicht. Wir lassen all die Aufregung raus und dann schließt sich der Vorhang endgültig für diesen Abend. Geschrei bei uns auf der Bühne. Jeder beglückwünscht jeden und es ist unsere Chance, den Solisten unsere „Liebe“ zu gestehen. Ein Foto hier, eine Umarmung dort und langsam wird es Zeit, in die Umkleide zu gehen. In den Logen herrscht das größte Chaos. Jeder redet durcheinander, sucht seine Sachen, die er eben in der Eile irgendwo hingeschmissen hat. Die Jüngeren brauchen Hilfe beim An- und Ausziehen und dann ist es so weit. Jeder ist abgeschminkt, hat die Haare durcheinander und die Jacke halb an. Unsere Chorleiterin sagt uns noch ein letztes Wort und weg sind wir. Jeder bekommt ein Küsschen und dann wird der Familie, die als Unterstützung da ist, noch alles erzählt und dann sitzen wir schließlich im Auto. Jetzt ist es auch schon nach Mitternacht. Die erste halbe Stunde wird noch heiter über Solisten, Choristen usw. geredet und dann wird einem langsam klar, dass es zu Ende ist. Nicht für immer aber wohl für diesen Abend. Ein bisschen traurig ist man dann schon. Nach einer langen Fahrt ist man dann zuhause. Zähne putzen, Schlafanzug an und dann ab ins Bett. Es ist zwei Uhr in der Nacht und das bedeutet, dass es Zeit ist für die schönen Träume über diesen aufregenden Abend.

Der nächste Morgen in der Schule läuft wie in einer Wolke ab.

Nur fünf Stunden später, um 7 Uhr, schellt der Wecker und trotz der Müdigkeit müssen wir zur Schule. Der Morgen läuft wie in einer Wolke ab. Es ist eine gewohnte Routine. Um 8.20 Uhr fängt die erste Unterrichtsstunde an, aber die Gedanken sind woanders. Sie sind noch bei den Ereignissen des Vorabends. In den Pausen ist dann alles wieder normal. Die Freunde merken, dass man abwesend ist und sich für die neusten Geschehnisse nicht interessiert und vermuten, dass man am Abend mal wieder in der Oper gewesen ist.

Am Nachmittag steht Mathetest auf dem Stundenplan. Konzentration ist schwierig. Obwohl man gestern noch in den Pausen alles nachgelesen hat. So gut wie es halt in diesen Momenten möglich ist.

Im Voraus lernen ist in diesen Zeiten die einzige Lösung. Zum Glück unterstützen uns die Direktion und die meisten Lehrer und verstehen, dass es nicht immer einfach ist, die Oper mit der Schule zu kombinieren. Man muss sehr organisiert sein und immer alles in Ordnung haben. Und sobald man wieder zu Hause ist, muss man schon die Hausaufgaben für die nächsten Tage machen. Denn morgen fängt alles wieder von vorne an. Und ich sitze dann da, an meinem Bürotisch mit den Gedanken an unsere kleine Fantasiewelt.“