Bämm! Bilder mit Wucht und Geschichten von Verletzlichkeit


Diese Bilder leuchten. Manchmal kalt. Sie machen stutzig. Sie haben Wucht. Bei manchen will man gar nicht genau hinsehen. Da sträubt sich was in Kopf und Bauch angesichts der schonungslosen Körperlichkeit. Bei anderen kann man sich staunend verlieren. Aus der Ausstellung „subject vs. object“ in der Eupener Galerie „vorn und oben“ geht man jedenfalls verändert raus. Diese Bilder bleiben. Sie stellen uns infrage.

Lilith, unter diesem Pseudonym arbeitet die 1964 geborene niederländische Fotografin Henriëtte van Gasteren, deren Arbeiten von Galerist Benjamin Fleig derzeit gezeigt werden.

Lilith ist eine vieldeutige Mythengestalt, Jahrhunderte alt, mal geflügelter Dämon und Kindsmörderin, Plage der Nacht, Wesen der Wüste. Und auf der anderen Seite Sinnstifterin des Feminismus, nicht brav und bescheiden wie Eva, sondern leidenschaftlich und sinnlich. Und damit gefährlich. Goethe machte aus Lilith im „Faust“ Adams erste Frau: „Nimm dich in Acht vor ihren schönen Haaren.“

Diese Lilith ist beides, Künstlerin und Kunstfigur. Als Lilith fotografiert Henriëtte van Gasteren sich in Frauenrollen und überzieht durch Posen, Requisiten und Bildaufbau gängige Klischees von der Mutter, der Hausfrau, der Göttin oder der Action-Heldin.

Oder sie begibt sich mit ihrem Körper als Objekt in den Raum – immer präzise ihre Beine, ihr Gesäß, Vagina und Brüste, Rücken oder Bauch in den perspektivischen Achsen der Umgebung. Sie nimmt in Yoga ähnlichen Haltungen die Form eines Tisches oder einer Vase ein. Oder sie hängt in der Gesellschaft von Tierhälften im Schlachthof über der Schulter des Schlachters – er hält das Messer in der Hand.

Kein Porno. Keine Provokation. Entblößung als Schutzmechanismus.

Es sind Szenen aus einer Rahmenhandlung, die sich der Betrachter selber ausmalen muss. Die Grenze zwischen Mensch und Gegenstand wird aufgelöst. Die Frau wird konsequent verdinglicht. Mal als Projektionsfläche für Chauvinismus und für gesellschaftlich festgeschriebene oder religiös verbrämte Rollenbilder, mal als eine Konstruktion von Geschlechtsteilematerial, Schamlippen, Klitoris, Brustwarzen.

Lilith ist dabei aber nie Opfer. Sondern sie behält die Fäden in der Hand. Sie entscheidet, was der Betrachter zu sehen bekommt. Nichts ist dem Zufall überlassen, keine Geste, keine Pose und keine Körperöffnung. Nichts wird durchs Guckloch feilgeboten. Jedes Bild ist plausibel, konfrontativ, es wird nicht kokettiert.

Was man von Henriëtte tatsächlich zu sehen bekommt? Vermutlich nichts. Die Genrebezeichnung „Selbstporträt“ ist insofern unstimmig, wenn die Erwartungshaltung ist, einen echten Menschen zu erleben. Je mehr Lilith auszieht, desto weniger gibt Henriëtte von sich preis.

Auch die Nacktheit ist Teil der Maskenbildung. In dem sich die Künstlerin für das Werk selbst zur Verfügung stellt, man könnte sagen: ausliefert, zieht sie eine Schutzschicht hoch. Sie gibt gerade nicht dem Drang der heutigen Facebook-Selfie-Lebensart nach Entblößung nach, sondern dreht den Spieß um. Sie ermuntert zu Selbstachtung, wo Typisierung zur Routine geworden ist.

Hinter der ganzen Lilith-Theatralik handeln schließlich die Geschichten von Verletzlichkeit. Friedrich Nietzsche, entsetzt über die Gesetzmäßigkeiten der Massenkultur, schrieb in „Jenseits von Gut und Böse“ (1886): „Um jeden tiefen Geist wächst fortwährend eine Maske, dank der beständig falschen, nämlich flachen Auslegung jedes Wortes, jedes Schrittes, jedes Lebens-Zeichens, das er giebt.“ Ein Gedanke, der auch als Leitmotiv für diese Arbeiten gelten könnte.

„Bämm“, sagt Galerist Benjamin Fleig mehrmals beim Rundgang durch die Ausstellung. Ja, tatsächlich. Das sind Bilder, die knallen. Lilith böse und frivol, dann wieder unschuldig, dann voll jauchzendem Lebenshunger. Mal liegend, gekreuzigt vor dem Altar, mal im Superhelden-Dress, mal als durchgeknallt aufgeputschte Trash-Mutti mit Staubsauger. Bämm!

 

„subject vs. object“

Lilith in der Galerie

„vorn und oben“,

bis 12. März