Offener Brief von Anne Kelleter

<p>Anne Kelleter.</p>
Anne Kelleter. | GE-Archiv


Was in den letzten Tagen passiert ist, kann ich mit Worten fast nicht beschreiben. Ich war mir von Anfang an ziemlich sicher, dass man die Gerichtsverfahren gegen mich verwenden würde. Es ist einfach, mich damit zu treffen. Man kann darauf schießen, ohne vorher zu zielen und ohne großes Können. Weil mir das bewusst war, habe ich Ecolo vom ersten Telefongespräch an über alles informiert. Ich wollte wissen, ob meine Kandidatur für die Partei tragbar ist. Ecolo hat sich aus guten Gründen entschieden mich zu unterstützen und tut das auch weiterhin.

Dass die Nachricht über meine Verurteilung so viel Hass und so wenig Empathie ausgelöst hat, ist für mich bezeichnend für die Zeit, in der wir leben. Ich habe Fehler gemacht, und nicht schnell genug aus ihnen gelernt. Dass mir diese Fehler vorgehalten werden, ist bis zu einem gewissen Grad okay. Gar nichts falsch gemacht haben hingegen meine Eltern, Freunde und Familie. Sie mussten sich in der letzten Woche immer wieder den absurdesten Gerüchten und Vorwürfen stellen. Das tut mir unendlich leid.

Diesen Hass im Netz zu erleben hat mir noch einmal gezeigt, wie wichtig es ist, sich für unsere Gesellschaft zu engagieren. Eine Gesellschaft, in der Menschen glauben, sich hinter Pseudonymen verstecken zu müssen, um ihre Meinung zu sagen, ist nicht meine. Wir brauchen eine neue Debattenkultur. Eine, die differenzierter und offener funktioniert als 120 Zeichen in der eigenen Filterblase. Nur, wenn Menschen wieder miteinander statt übereinander reden lernen, können wir die Herausforderungen, vor denen unser Planet steht, angehen. Wir brauchen nicht nur mehr Bürgerbeteiligung, sondern auch mehr Zivilcourage.

Vor meiner Zusage an Ecolo habe ich mich eingehend mit der Frage beschäftigt, ob ich trotz Verurteilung für ein politisches Mandat geeignet bin. Die Antwort lautet ganz klar ja. Ich habe in den letzten Jahren nicht nur viel über mich selbst gelernt, sondern auch über unsere Demokratie. Ich hatte Glück, denn ich habe ein intaktes soziales Umfeld, das mir geholfen hat, nicht abzurutschen. Ehemals enge Freunde von mir hatten dieses Glück nicht. Es gibt im belgischen Justizsystem fast keine Präventions- und Wiedereingliederungsprogramme. Die Rückfallquoten bezeugen das. Die Zustände in den Gefängnissen sind unhaltbar. Jedes Jahr prangert Amnesty International das an. Hygiene, Ernährung und einige Grundrechte werden dort mit Füßen getreten. Die Politik hat dieses Thema bisher so gut es geht ignoriert. Ich weiß jetzt, wovon ich schreibe, wenn ich behaupte, dass die chronische Unterfinanzierung ein korrektes Funktionieren von Polizei und Justiz unmöglich macht.

Mir scheint auch, dass viele Leute die Arbeit der Gerichte nicht respektieren. Sie wollen mich noch einmal verurteilen. Am besten auf Lebenszeit. Ich bin gerecht bestraft worden, jetzt will ich in die Zukunft schauen.

Ich will mein Bestes geben, zur Unterstützung kleiner Betriebe, für mehr lokale Kreislaufwirtschaft und eine nachhaltige Lebensqualität. Ich will ein kleines Stück dazu beitragen, dass wir Menschen unseren Planeten und uns gegenseitig wieder mehr respektieren. Ich werde beweisen, dass ich mehr bin als nur diese Geschichte. Ich hoffe, dass die Leute, die jetzt so bereitwillig mit dem Finger auf mich gezeigt haben, auch auf den Rest meiner Person sehen und sich nicht von ihren Vorurteilen blenden lassen.

Kommentare

Kommentar verfassen

0 Comment