Le Défilé

Wie jedes Jahr schaute ich mir mit viel Interesse den „Défilé“ de la Grande Nation an. Gewaltig, faszinierend, grandios! Natürlich ist mir klar, dass das Wesen der Grande Nation nicht allein dadurch dokumentiert wird. In einem gewissen Sinn handelt es sich, wie beim Kölner Narrenzug, um „Spass an der Freud“.

Als zum Dienstpersonal meiner Institution, der römisch-katholischen Kirche gehörend, vergleiche ich mit römischen Aufzügen, siehe Konzil oder Bischofssynode, Familiensynode oder Papstauftritt urbi et orbi. Wobei der blanke Helm der Garde républicaine durch das rote Birett und das Käppi der Fremdenlegion durch Mitra oder Tiara, nicht zu vergessen, Mozetta, Brustkreuz usw. ersetzt werden.

Doch der Unterschied liegt tiefer. Unsre „Würdenträger“ („nomen ist omen“) halten ihr Dekorum für ein wesentliches Merkmal ihrer Wichtigkeit und Würde und geben ihm einen sakralen Charakter. Es ist für sie unvorstellbar, dass der Papst, als Nachfolger eines Fischers aus Galilea, so wie der Generalsekretär der Vereinigten Nationen, sich zivil gekleidet präsentieren könnte. Wann und wo hat Jesus je ein Ornat, einen Talar, eine Uniform getragen? Es geht mir, wohlbemerkt, nicht um die Ästhetik, das Spectaculum, die Show! Sie hat ihre Berechtigung, aber ist nicht der Kernpunkt. Das Christentum ist kein Schauspiel, sondern harte Realität und Jesus war näher in der Häftlingstracht des Pater Maximilian Kolbe, der sein Leben für einen Mithäftling hergab, als in der Mozetta eines Benedikt 16. oder in der üblichen Maskerade der Kardinäle Bertone oder Müller mit ihrem traditionellen Anhang.